Gerd Philipp I. und Stefanie Sassenrath
L & L: Wie ist die Entscheidung gereift, Schützenkönig in Neuss werden zu wollen?
Gerd Philipp I. Sassenrath: Ich habe als Kind die Rolle des Königs beim Schützenfest immer mit ebenso großem Interesse wie Ehrfurcht betrachtet. In den jungen Schützenjahren liegt das Hauptaugenmerk dann natürlich mehr auf den weiblichen Festteilnehmern. Seit der Familiengründung und dem Heranwachsen der Kinder habe ich mit jedem Kind mal eine Wette abgeschlossen, getreu dem Motto: „Wenn du das schaffst, dann…“. Anfangs waren die Wetten so gestaltet, dass die Kids im Grunde nicht gewinnen konnten. Mit fortschreitendem Alter und – jedenfalls grob - gefühlter Reife habe ich mich dann in „unsichere“ Gefilde vorgewagt. Und so kam es dann, wie es kommen musste, was ich schnell daran merken konnte, dass ich in der Stadt angesprochen wurde, wie ich es denn mit „Wettschulden“ halten würde. Ja, dann habe ich mir den Schützenfest-Dienstagnachmittag mal freigehalten.
Stefanie Sassenrath: Die Kinder hatten ihn schon seit Jahren mit diesem Thema belagert, und steter Tropfen höhlt bekanntlich irgendwann den Stein. Die Kinder waren natürlich Feuer und Flamme. Irgendwie passte es dann auch ganz gut in diesem Jahr, was wir uns aber zu Beginn gar nicht so tiefgehend überlegt hatten. Alle Kinder waren im Hofstaat aktiv, und wir haben die Krönung auch als tolles Familienfest feiern können. Mit dem Beginn des Königsjahrs ist zugleich das letzte Kind aus dem Haus gegangen, so dass das Jahr zugleich auch den Abschluss eines Kapitels im Familienleben markiert.
L & L: Wie haben Sie die ersten Stunden nach dem erfolgreichen Wettkampf erlebt?
Gerd Philipp I.: Das sind natürlich sehr emotionale Momente. Den entscheidenden Treffer habe ich wohl als Letzter mitbekommen, weil ich vor lauter Rauch nichts gesehen habe und dank der Schallschützer auch nichts gehört habe. Erst als mir einer der Schießmeister gratuliert hat, wusste ich, dass ich König bin. Dann ging es ab auf die Schultern der Kameraden und das Königsjahr nahm seinen Lauf. Ein tolles Erlebnis war gleich zu Beginn auch der Abendumzug mit einer super Stimmung in der Stadt auch Dank der vielen sehr aktiven Musikkapellen. Richtig Spass hatte ich auch mit Präsident Thomas Nickel und Bürgermeister Herbert Napp in der Kutsche. Mit dem Großen Zapfenstreich auf dem Münsterplatz bei den Scheibenschützen und einer hervorragend spielenden Musikkapelle hat der erste Tag nach dem Trubel und der Heiterkeit in der Stadt einen sehr feierlichen und erhabenen Abschluss gefunden, der uns und viele andere Schützen auch mit großer Dankbarkeit erfüllt hat. Ein unvergleichliches Fest findet so Jahr für Jahr begleitet von den Glocken von St. Quirin seinen würdigen Abschluss.
L & L: Gab es ein Motto oder Leitmotiv, unter das Sie Ihr Schützenjahr gestellt haben?
Gerd Philipp I.: Wir sind das Jahr im besten Sinne „nur so“ angegangen, zweckfrei und entspannt, offen und neugierig auf das, was kommt. Natürlich wollten wir auch ein paar eigene Akzente setzen, etwa durch die Aktion Schützlinge oder den Musikwettbewerb. Aber in der Hauptsache wollten wir das Schützenfest und seine Akteure aus der Königsperspektive neu entdecken und haben uns von dieser Entdeckerlust ein wenig treiben lassen.
L & L: Warum die beiden Akzente mit Musikwettbewerb und der Aktion „Schützlinge“?
Stefanie Sassenrath: Alle in der Familie lieben auf ihre eigene Weise die Musik, alte Musik wie neue Musik und auch Musik aus allen Bereichen. So kam die Idee zum Wettbewerb auf und alle waren direkt davon überzeugt, dass dies für die vielen kreativen und vielfältig begabten Neusser, auf die man überall in der Stadt und in der Welt trifft, genau das Richtige sein könnte. Wir freuen uns sehr, wie viele tolle Beiträge schon eingegangen und noch angekündigt sind. Ab Mitte Juli werden die Neusserinnen und Neusser über tolle Songs abstimmen können.
Gerd Philipp I.: Mit der Aktion „Schützlinge“ wollten wir eine Plattform schaffen, für das Engagement der Schützen bei der Integration der Flüchtlinge in Neuss. Wir freuen uns sehr, dass auch diese Aktion Aufnahme bei den Schützen gefunden hat, zuletzt mit der Teilnahme von über 40 Flüchtlingen bei der Schützen-WM des Schützenlustzuges „Wat mutt dat mutt“. Das war ein Stück ungezwungener Integration über gemeinsame Erlebnisse bei extremen Umständen: Es hat den ganzen Tag wie aus Eimern geschüttet und dennoch sind 25 Teams angetreten und haben das Turnier – zum Schluss per Elfmeterschießen – zu Ende gespielt. Eine Flüchtlingsmannschaft hat dann auch gleich den vierten Preis errungen.
L & L: Sehen Sie denn jetzt als Königspaar das Schützenfest mit anderen Augen?
Gerd Philipp I.: Ich bin ja all die Jahre als einfacher Schütze in Reih und Glied mitgegangen und habe mich um das Drumherum nicht groß gekümmert. In einem Königsjahr lernt man die Vielfalt des Festes, der Korps und der einzelnen Züge ganz anders kennen. Man sieht das Fest und seine Akteure aus Blickwinkeln und mit Besonderheiten, die wir so bislang noch nicht kannten. So gibt es in anderen Korps – ich komme aus der Schützenlust - zum Beispiel die Generationen übergreifenden Züge, in denen Jung und Alt gemeinsam feiern. Es ist wirklich schon toll zu sehen, wie die Älteren sich dort um die Jüngeren kümmern, ihnen den Einstieg in das Schützenleben ebnen und dafür sorgen, dass sie gut über die tollen Tage im August kommen. Wir haben auch wunderbare Zug-Krönungen, z.B. bei den Jägern oder den Grenadieren miterleben dürfen. Jede hatte ihren eigenen Stil und eigene Riten. Alle waren sehr feierlich und von großer Herzenswärme geprägt. Ja, und alle können richtig feiern. So haben wir vielfältige Schützentraditionen jenseits der fünf Tage der Wonne im August kennen gelernt.
Stefanie Sassenrath: Wir sind überall herzlich und mit offenen Armen aufgenommen worden und haben viel Freude gehabt. Die Schützen sind ihrem Königspaar gegenüber sehr offen und halten das Amt, sicherlich ein ganzes Stück auch unabhängig von den Personen, die es gerade ausüben, hoch. So fühlt sich als Königspaar schnell zuhause, obwohl man vielleicht anfangs nur wenige Leute im Saal kennt.
L & L: Wie wird den Ihrer Ansicht nach die Rolle als Königspaars von anderen wahrgenommen?
Gerd Philipp I.: Nun, die Schützen erwarten zurecht, dass man das Königsamt mit einer gewissen Würde ausfüllt. In den 365 Tagen muss man das ein wenig berücksichtigen. Ich fühle mich deshalb auch nicht so richtig gut, wenn ich morgens in aller Herrgottsfrühe halb im Pyjama den Wagen vor dem Zugriff der städtischen Bediensteten auf einen der raren Parkplätze retten muss. Da denkt man sich schon, dass man jetzt besser nicht Herrn Woitschützke oder einem eilfertig Bilder in die sozialen Netzwerke übermittelnden Smartphone über den Weg laufen sollte.
Stefanie Sassenrath: Wir neigen normaler Weise außerhalb des Berufes zu recht legerer Kleidung. Jetzt erinnern wir uns wechselseitig vor Terminen, dass eine „Majestät“ – natürlich völlig zu Recht - erwartet wird. Da muss dann mitunter auf die Schnelle noch mal das kleine „Staatsornat“ angelegt werden.
L & L: Aber diese Wahrnehmung gilt doch nur in Neuss, oder?
Gerd Philipp I.: Das Schützenfest wird auch außerhalb von Neuss als etwas Besonderes wahrgenommen, mehr als mir vorher bewusst war. Als mir jemand aus einem entfernten Teil der Republik telefonisch gratulierte, habe ich das zuerst nicht für bare Münze nehmen wollen und ging von einem spöttischen Hintergrund aus. Völlig zu Unrecht, wie sich herausstellt. Mein Gesprächspartner legte mir die Bedeutung des Neusser Bürgerschützenfestes und des Amtes des Schützenkönigs („Platz eins vor dem Bürgermeister“) in makelloser Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse dar verbunden mit dem Hinweis, es handele sich ja schließlich um das größte Deutsche und wohl auch europäische Schützenfest. Also, da gab es nicht den geringsten Anlass zu Widerspruch von meiner Seite. Meine Kollegen in der Sozietät wissen schon seit langem, dass die Neusser auf einer besonderen Scholle leben. So ganz sicher war ich mir allerdings nicht, wie die Geschichte im Büro so aufgenommen würde. Umso erstaunter war ich dann zu hören, dass die Kollegen im Büro am Dienstag das Königsschießen intensiv über den Live-Ticker mitverfolgt haben. Am Tag danach fand ich in der Tiefgarage gar einen Parkplatz „Reserviert für Seine Majestät“, den ich bis zum heutigen Tag nutze.
L & L: Was hat Sie In diesem Jahr sonst noch beeindruckt?
Gerd Philipp I.: Ich habe schon eine sehr große Hochachtung und viel Respekt gewonnen vor der vielen Arbeit, der hohen Verantwortung und der großen organisatorische Leistung, die das Komitee und die Verantwortlichen in den Korps bewältigen. Die Anforderungen werden ja - zum Beispiel durch die ständig wachsenden Sicherheitsauflagen – ständig höher. Das sind schon ganz eingefleischte Schützenfreunde, denn sie erledigen ihre manchmal gar nicht so lustige Arbeit mit großem Engagement und großer Freude an unserem vaterstädtischem Fest.
L & L: Fühlten Sie sich denn vom Komitee gut unterstützt?
Stefanie Sassenrath: Ja in jedem Fall. Wir haben vielfältige Tipps und Unterstützung erhalten. Man wird mit einer „Gebrauchsanweisung“ für das Königsdasein ausgestattet und mit einer Liste der Termine, die man nicht, nur im äußersten Notfall oder nur mit guten Gründen versäumen sollte. Auch auf den Veranstaltungen, bei denen wir mit Komitee-Mitgliedern und ihren Damen unterwegs waren, fühlten wir uns in diesem Kreis immer sehr gut aufgehoben, auch wenn wir wieder einmal – alter, natürlich schlechter Gewohnheit folgend - erst in allerletzter Sekunde am Veranstaltungsort aufgekreuzt waren.
L & L: Keine Kritik?
Gerd Philipp I.: Man fühlt sich in unserer Zeit ja richtig schlecht bzw. unvollkommen, wenn man jemand anderen oder eine Institution nicht kritisieren kann. Aber da fällt mir nichts ein, was Ihnen eine Schlagzeile bringen würde. Es ist das vornehmste Recht des Königs, sich zu allem und jenem seine eigenen Gedanken zu machen, und es ist die vornehmste Pflicht des Komitees, die Tradition in gebotener Anpassung an sich verändernde Umstände zu wahren. Dieses Wechselspiel macht Spaß, und selbstverständlich haben auch wir davon Gebrauch gemacht. Als Eltern von zwei Töchtern, die beide dem Schützenfest in seiner traditionellen Form sehr verbunden sind, war und ist es uns z.B. immer ein Anliegen, den Nüsser Röskes ohne Eingriff in die althergebrachten Abläufe den ihnen gebührenden Platz im Fest einzuräumen. Wohlgemerkt, dabei geht es nicht um Repräsentation von Röskes, sondern um attraktive Teilhabe am Fest. Wenn das Fest für die Röskes attraktiv ist und bleibt, werden sie auch den Herren-Teil der Schöpfung die Traditionen wahren lassen bzw. ihm überhaupt erst mal die Teilnahme ermöglichen. Deshalb haben wir schon mal die eine oder andere Lanze in dieser Hinsicht gebrochen.
L & L: Was lernt man in einem Königsjahr?
Gerd Philipp I.: Man lernt vor allem viele nette und engagierte Leute kennen. Da wir außerhalb unseres Korps bisher noch nicht so viel herumgekommen waren, haben wir dies nach dem Königsschuss sozusagen im Eilverfahren nachgeholt. So haben wir die Korpsführer, Adjutanten und Hauptleute und das Komitee – selbstverständlich mit ihren Damen - zu uns an den Bahnhof in die Elisenstraße gelockt, um sie kennen zu lernen und ihnen die Geheimnisse der von ihnen vertretenen Teile des Regiments zu entlocken. Das waren alles wunderschöne und sehr fröhliche Abende, die – obwohl oft unter der Woche stattfindend – erst früh am Morgen endeten. Ja, so haben wir schnell gelernt, dass alle Korps sehr engagierte einsatz- und lebenslustige Führungen haben.
Stefanie Sassenrath: Toll war auch ein Treffen mit den ehemaligen Schützenkönigs-Paaren. Dabei wurde eine Zeitspanne von über 40 Jahren der Geschichte des Neusser Bürgerschützenfestes abgedeckt. Jeder wartete mit spannenden Geschichten aus seinem Königsjahr auf. Man war sich einig, dass sich das Fest, obwohl es im Grunde eigentlich immer gleich gefeiert wird, dennoch erheblich fortentwickelt hat.
L & L: Zum Königsorden: Ohne zu viel zu verraten, was sind die Elemente des Ordens?
Gerd Philipp I.: Der Orden zeigt ein wenig von der „Philosophie“ unseres Lebens, unserer Herkunft, dem Wechselspiel zwischen Tradition und Moderne, Stationärem und Mobilem…
L & L: Er scheint bei einem Philosophieseminar entstanden zu sein…
Stefanie Sassenrath: Nein keineswegs, der Grundstock wurde auf einer Bootstour in einem Restaurant gelegt in einem schönen Hafen am Ijsselmeer, im Kreise der Familie, mit vielen guten Ideen und zwei Flaschen Wein, einer Reihe von Bierdeckeln und Servietten, auf denen munter gezeichnet wurde, jedenfalls von denen, denen der liebe Gott zum Zeichnen eine gewisse Gabe mit auf den Lebensweg gegeben hat. Mein Mann gehört übrigens bekennender Weise nicht zu dieser Gruppe Menschen.
Gerd Philipp I.: Am dritten Januar waren wir – aus unserer Sicht – eigentlich fertig. Jetzt sollte das Ganze nur noch eben umgesetzt werden. Und da zeigte sich dann, wie weit der Weg von einer zweidimensionalen Zeichnung auf Papier in den dreidimensionalen Orden aus Metall ist. Zwischenzeitlich sind wir auch in Bezug darauf um einige Erfahrungen reicher, aber auch Schritt für Schritt vorangekommen und zuversichtlich, am Königsehrenabend einen – hoffentlich - schönen Orden verleihen zu können.
L & L: Wie hoch wird die Ordenszahl sein?
Gerd Philipp I.: Nun, das Schützenfest ist ein Fest der Tradition, und mit der wollen wir auf keinen Fall brechen. Es wird also eine den Umständen entsprechende Anzahl von Orden geben, wenn der Himmel uns nicht auf den Kopf fällt. Zwei Ordensträger soll jeder Zug selber bestimmen. Die Züge wissen am Ende am besten, wer einen Orden verdient hat. Zudem werden alle Väter des Schützenjahres 2015/2016 einen Orden erhalten, damit sie sich später besser an das Geburtsjahr ihrer Kinder erinnern können. Der Rest ist Staatsgeheimnis. Natürlich bekommt man in diesen Tagen die ein oder anderen „Tipps“. Meist werden sie mit den Hinweisen verbunden, dass ich auf alle Fälle keine Ordensinflation vom Zaun brechen solle, dann sei der Orden ja nichts mehr wert, aber die Tippkandidaten sollten schon ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Keiner versäumt amüsanter Weise dabei darauf hinzuweisen, dass das Entscheidungsrecht natürlich beim König liege. Wenn man eine gewisse Anzahl solcher Tipps gesammelt hat, ist man damit sozusagen der personalisierte Zielkonflikt. Ich werde mir die größte Mühe geben und betrachte es als königliches Privileg, eine Lösung dieser Gleichung mit unendlichen vielen Bekannten versuchen zu dürfen.
Sie haben mir übrigens – anders als die quasi professionellen Ordenssammler - noch gar nicht die Frage nach „Sondereditionen“ des Ordens gestellt. Ich will die Frage daher an dieser Stelle auch gar nicht beantworten, nicht nur um das Sammlerherz nicht zu früh ermatten zu lassen, sondern vielleicht auch, weil die Antwort auf diese Frage mich noch nicht erreicht hat.
L & L: Und wie sieht es mit dem Königsgeschenk aus?
Gerd Philipp I.: Die nächste gute Frage. Wir haben lange mit den zuständigen Verwaltungsstellen in Verhandlung gestanden und sind nicht der Meinung, dass das – hoffentlich nun erzielte - Ergebnis nicht noch wesentlich besser hätte ausfallen können. Beim großen Schmirgeln des Projektes durch die verschiedenen Bedenkenmühlen sind für unser schlichtes Gemüt etwas viele Späne gefallen. Immerhin ist aber trotzdem noch etwas übrig geblieben und das sollte, wenn nicht noch ein paar Stricke reißen, pünktlich fertig und den Schützen und der Bürgerschaft übergeben werden können. Schauen wir mal…der Rest ist natürlich ebenfalls – allerdings naturgemäß nur temporär - Staatsgeheimnis.
L & L: Zum Schluss: Ihr Wunsch für die Kirmestage?
Gerd Philipp I.: Dass alle Schützen, Nüsser Röskes, Neusser Bürgerinnen und Neusser Bürger an den Schützenfest- und Kirmestagen bei 25 Grad, strahlend blauem Himmel und leicht säuselndem Wind eine solche Freude haben und eine solche Gemeinschaft erleben werden, wie wir sie in unserem Königsjahr bisher hatten und erleben durften.