lustundleute.de/

 

Walburga und Karl Heinz Ackermann

 

Walburga Ackermann berichtet

von den Leiden ihres (Haupt)Mannes

in Lust & Leute No die Dag 2007,

erschienen im November 2007.

Hilfe! Mein (Haupt)Mann nimmt ab!

Szenen einer Ehe - geschildert von Walburga Ackermann

Acki

Bereits seit Wochen habe ich auf die ersten untrüglichen Anzeichen gewartet: die unsicheren Blicke in den Spiegel, das nervöse Zurechtzupfen des seit langem ausgeleierten Hosengürtels, die verhaltenen Seufzer beim sonntäglichen Kaffeetrinken. Als erfahrene Ehefrau und treusorgende Gattin weiß ich längst, was diese düsteren Vorzeichen Unheilvolles ankündigen.

Und meine Vorahnungen trügen nicht. Eines Abends ist es soweit: aus dem Nebenzimmer dringt ein verhaltener Schrei des Entsetzens, und als ich aufgeschreckt dorthin stürze, durchfährt mich ein kühler Schauder: dort steht mitten im Zimmer, vom schmutzigen Schein der Nachttischlampe unerbittlich angestrahlt, mein mir vor Jahren Angetrauter und kann es nicht fassen. Das heißt vor allem Jacke und Hose der Schützenuniform können ihn nicht fassen, den nicht mehr zu bändigenden und zu zügelnden Bauch, Zeichen eines gepflegten Wohlstandes und einer ausgedehnten Esskultur.

Tiefe Kniffe in der Gesäßgegend zeugen von der folternden Enge der einst so salopp sitzenden Hosenbeine. Und erst die Jacke! Das fassungslose, etwas hilflos dreinblickende Gesicht des Eingezwängten spricht Bände. In der unteren Hüftregion scheinen ganze Stoffpartien zu fehlen. Vergebens ist der Versuch, die Knöpfe des Prunkstückes der Uniform in die dafür vorgesehenen Löcher einzufügen. Standhaft schiebt sich die weiße Kugel des vorgewölbten Bindegewebes zwischen die grün-blassen Jackenhälften und straft jeden Versuch ihrer Zusammenführung mit Verachtung. Auch das schrille Klimpern der die Jacke bevölkernden Königsorden vermag die bejammernswerte Gestalt vor mir nicht mehr aufzuheitern.

Ich werfe mein Gesicht in tiefe Mitleidsfalten mit einem Schuss sorgenvoller Zuneigung garniert und ergebe mich demütig in mein Schicksal. „Ab morgen wird gefastet“, klingt es mit martialischer Entschlossenheit an mein Ohr. „Bis Kirmes ist der Bauch weg!“ Finster, fast bedrohlich blickt das Auge des zu allem Entschlossenen im dämmrigen Schlafzimmer umher. Ich beeile mich, durch ein überzeugtes Nicken Zustimmung und Unterstützung zu signalisieren und trete langsam den Rückzug an. In der Küche angekommen, beginne ich lustlos ein paar Möhren zu schrappen und verstecke den bereits vorbereiteten Nudelauflauf hinter den Bratpfannen im Schrank, um ihn morgen Mittag unbemerkt zwischen den Kindern und mir aufzuteilen. Aus langjähriger Erfahrung weiß ich inzwischen, dass meine bessere Hälfte, wenn sie sich einmal dazu entschlossen hat, aus den Tagen den Wonne nicht die Tage der Tonne werden zu lassen, nichts mehr aufhalten kann …

Und so beginnt für den Rest unserer Familie eine entsagungsvolle Zeit voller schmackhafter Rohkostmahlzeiten und heimlich erworbener mit Heißhunger verschlungener Hefeteilchen. Eine Zeit, in der jede Einladung guter Freunde Qual bereitet und der Anblick eines wohlsortierten Buffets kalten Angstschweiß ausbrechen lässt.

Vorbei sind die gemeinsamen Abende kultivierter Fernsehunterhaltung. Statt dessen harre ich nervös auf den Trimmwütigen, der sich allabendlich in die finstere Wildnis des Reuschenberger Waldes begibt, um sich dort mit zähem Durchhaltevermögen Blasen und Schürfwunden zu erlaufen. Jeder einsame, der Natur abgerungene Kilometer eine ehrgeizige Herausforderung an den mit mir verehelichten „long-distance-runner“ aus Leidenschaft. Kampf den Fettzellen! Niemand kann einem die Momente voller Sorge ersetzen, wenn unbedarfte Zeitgenossen die zur Gewichtsreduzierung entschlossene Ehehälfte zu ungehemmtem Bierkonsum verführen wollen, niemand weiß um die zahlreichen Rückschläge, die das hehre Ziel der magischen Kilozahl in schier unerreichbare Ferne rücken lassen.

Hier helfen nur unermüdliche verständnisvolle Aufbauarbeit und energische Durchhalteparolen. Verwunderte Fragen der Sprösslinge bei Tisch „warum denn Papa schon wieder nichts isst“ werden liebevoll im Keim erstickt, um die drohenden Sorgenfalten des Familienoberhauptes eiligst zu glätten.

Doch was zählt all diese Drangsal gegen den Anblick am Kirmesfreitag, wenn die so lange verschmähte Schützenuniform bei der Anprobe erstmalig wieder ohne Fehl und Tadel ihren Träger ziert und ihn in einen stattlichen Neusser Schützen verwandelt. Vergessen ist die kalorienarme Zeit, und das befreite Aufatmen aller Beteiligten ist unüberhörbar. Ein spürbar „Erleichterter“ verlässt am Abend das Haus in dem beglückenden Bewusstsein, dass sich auch in diesem Jahr wieder ein kleines Kirmeswunder ereignet hat. Und so scheint einmal mehr die Sonne über den Tagen der Wonne.