lustundleute.de/

 

Carmen Kuhnert für

Lust & Leute Vör die Dag 2012,

erschienen im Juli 2012.

Die Weinstadt Neuss

Carmen Kuhnert blickt ins Mittelalter und berichtet von Bären, Löwen, Pilgern und Genussmenschen

Ich will Ihnen keinen „Bären aufbinden“, sie gab es tatsächlich, doch ist sie uns Neussern leider ein wenig in Vergessenheit geraten. Daran möchte ich arbeiten und lade alle unsere geschätzten Lust & Leute-Leser herzlich zu einer kleinen Zeitreise und damit in die Weinmetropole Neuss ein, die sie einstmals war und sie aufblühen ließ.
Neben den bis heute anzutreffenden Weinhändlern würden dann auch ausgestorbene Berufe wie der des Weinröders von sich reden machen - ein städtischer Angestellter, der den auf den Schiffen angelieferten Wein messen musste. Er prüfte demnach, ob die Fässer auch voll waren und bescherte der Stadt so mächtige Gebühreneinnahmen.
Weinschröder waren danach für das Verladen der Fässer zuständig. Diesen Job konnte nicht jeder machen, vielmehr kamen nur „unbescholtene Bürger“ dafür infrage und sie durften sich nicht in „offenem Ehebruch“ befinden. Ja, da herrschte Zucht und Ordnung.
Wenn der Wein dann beim Weinhändler und damit im Handel angekommen war, wurde er durch Weinzapfer ausgeschenkt. Diese Weinzapfer mussten Mitglieder der sogenannten „Weinbruderschaft“ sein und wiesen sich durch den „Weinbrief“ aus.
Seit dem Mittelalter war Neuss Umschlagplatz und Handelsplatz des Weins und gelangte dank des damals üblichen Handelsweges, dem Rhein, zu wirtschaftlicher Bedeutung.
Zahlen und Fakten, sich sich sehen lassen konnten:
Neusser Händler setzten 1500 Fuder für Konsum und über 1000 Fuder für den  Nah- und Fernhandel um (1 Fuder = 1000 Liter). Um 1570 setzten fremde Händler jährlich dagegen schon 2500 Fuder um. Dies ergab 2,5 Millionen Liter, die über Neuss gehandelt wurden.
Dem Handel folgte natürlich ein nicht unerheblicher Konsum und so machten Neusser Weinhändler, wie beispielsweise die Familie Josten, richtig „Kasse“ und genossen den gesellschaftlichen Aufstieg und das damit verbundene Ansehen.
Die Familie Josten war 1725 durch den Fassbinder Wilhelm Josten am Büchel sesshaft geworden. Die Weinhandlung Josten verfügte im Jahre 1812 bereits über 82.000 Liter Wein von Rhein, Mosel, Nahe und Ahr. In Fässern wohlgemerkt, Flaschenabfüllung gab es vereinzelt erst seit der Franzosenzeit, sie war noch zu teuer. Einzige Ausnahme war die Rüdesheimer Traube des Jahres 1811.
Noch heute bietet sich dem Auge des interessierten Betrachters im zweigeschossigen Keller der alten Josten-Geschäftsräume Platz für 250.000 Liter und 80.000 Flaschen Wein.
Und wie man auf den Stiftungsfotos der Neusser Bürgergesellschaft um 1900 sieht - oder besser nicht sieht - lassen sich Mitglieder vor lauter Flaschen auf den Tischen kaum noch wiedererkennen.
Wer hat nicht schon von ihnen gehört, den „Stiftsdamen von St. Quirin“! Sie waren nicht gerade Kinder von Traurigkeit und galten zu ihrer Zeit als besondere Konsumenten von Wein und edlen Speisen. Ihre Gastfreundschaft war legendär.
Ich möchte fast behaupten, dass sich so mancher Pilger erst durch sie auf eine Pilgerreise nach Neuss begeben hat.
Aus Überlieferungen weiß man, dass Gäste und Pilger geradezu geschwärmt haben von ausschweifenden Festen bei erstklassiger Bewirtung, so dass Gebete, Totengedenken und Messfeiern dabei leicht in den Hintergrund treten konnten.
Anlässlich der Wahl einer Äbtissin um 1650 sah das Buffet folgende Leckereien vor: „134 Pfund Frischochsenfleisch, 18 Hühner, 3 Ziegen, 2 Hammel, 1 Gans, 2 Kapaune, 2 Hasen, 12 Pfund Stockfisch, 10 Pfund Kastanien, 22 Pfund Rindfleisch, für 86 Gulden Konfitüre, für Aufwartung Leuchterträger und Spülfrauen 33 Goldgulden und an Wein für 197 Goldgulden.“
Dieser Auszug aus der Großküche lässt nur einen Schluss zu: hier wurde gefeiert, bis sich die Balken bogen. Das haben wir also gentechnisch alles von unseren Vorfahren!!
Weil die Damen nun neben der kirchlichen Ordnung auch in Neuss zunehmend als Wirtschaftsunternehmen auftraten (sie waren auch clever), machten sich die Neusser ein wenig Sorgen.
Speziell der Weinausschank führte wegen der Steuerbefreiung und den damit verbundenen Einnahmenverlusten bei den Neussern zu Unbehagen.
Aber dennoch, es wurde gehandelt und getrunken, bis den Gästen vor Begeisterung die Sinne schwanden - und das war vermutlich auch schon Kaiser Heinrich III. zuvor um 1043 so ergangen. Denn der schenkte nach seinem Besuch dem Quirinus-Kloster bzw. der Äbtissin vor lauter Begeisterung und weil er kein großer Biertrinker war, einen eigenen Weinberg in Boppard am Rhein.
Doch diese Reben erlangten ebensowenig Weltruhm, wie die Trauben, die in Neuss wuchsen. Es gab im 13. Jahrhundert eine  Traube mit Namen „vinum nussiense“, die im Weingarten des Priors vom Oberkloster vor dem Zolltor gedieh. Doch war sie eher ein „Träubchen“ und verwilderte.
An den Löricker Weiher bzw. seinen verwilderten Weingarten erinnerte die Weingartshecke, die heutige Weingartsstraße.
Wir lernen, dass Trauben, die nur „umwerfend und nicht ausbaufähig“ sind, aussterben. Bleibt für die Gegenwart festzustellen, der Wein ist im Konsum deutlich hinter dem Bier zurückgegangen, aber die Neusser trinken und genießen auch heute, wie gerade beim Weinfest 2012 auf dem Freithof. Genussmenschen eben, die die Reben lieben.
Und auf der Rollmopsallee werden Deutsche Winzer auch in diesem Jahr wieder neben vielen Bierständen und Bierzelten das anbieten, was sie am besten können - nämlich ihre Weine. Leider nicht mehr aus Novaesium.
Wie zu Beginn schon einmal ausgeführt, wollte ich Ihnen wirklich keinen Bären aufbinden, aber zum Stichwort „Bär“ soll diese kleine Episode noch Erwähnung finden.
Noch um die Jahrhundertwende fehlte zu keiner Neusser Kirmes der mit seinen dressierten Bären und anderen Tieren umherziehende Dompteur.
Einem solchen Bärenführer war sein Tier verendet und weil doch gerade Schützenfest in Sicht war, stand er ziemlich ratlos da.

Er fragte den ihm bekannten Bäätes, der wieder arbeitslos war, ob er sich nicht in ein Bärenfell stecken und den Bären darstellen wollte. Der Bäätes war sofort Feuer und Flamme und gegen gute Bezahlung bereit . Er machte seine Sache auch recht ordentlich. Einmal kletterte er jedoch zu hoch, fiel in einen Nebenkäfig und befand sich zu seinem größten Schrecken plötzlich einem riesigen Löwen gegenüber, welcher wütend auf ihn zugestürzt kam.
„Lieber Himmel“ stammelte der Bäätes in seiner Angst und wollte schon flüchten, als der Löwe ihn zu seinem Erstaunen fragte: „Bäätes, wat kriß do der Dag?“
Liebe Schützenfreunde, was wir in wenigen Tagen bekommen ist „viel Freud“, denn wir sind „vör die Dag“. Und bis „auf die Dag“ bin ich gerne wieder Ihre

Carmen Kolumna
für ,,Lust & Leute“
vör die Dag 2012

P.S.: Ich möchte mich ausdrücklich und betont herzlich beim Leiter des Neusser Stadtarchivs, Dr. Jens Metzdorf, bedanken, der mir diese kleine Weinkunde vermittelte und der schon bei diversen Veranstaltungen mit diesem Thema brillierte. Er ist aktives Mitglied bei der Schützenlust, aber das ist ja bekannt!